Lesenswertes
Welcher Teilnehmer medizinischer
Kongresse hat nicht den Redner erlebt, der auf die Bühne zum Pult stolpert,
zunächst das Mikrofon anhustet und beklopft, den Signalknopf zur Diaprojektion
sucht, den Laserpointer eine Zeitlang ausprobiert und sich bei allem scherzhaft
entschuldigt, dass gerade er als Wissenschaftler technisch so unbegabt sei? Der
Vortrag beginnt mit den Worten: "Das erste Dia, bitte!" Es wird dunkel, und der
Redner kehrt von nun an dem Publikum den Rücken zu. Ein völlig überladenes, viel
zu buntes, ungeputztes, aber englischsprachiges Dia erscheint, zahllose ähnliche
folgen. Der Redner bedauert ausgiebig, dass er leider aufgrund der Kürze der
Zeit die Komplexität der im Dia dargestellten Sachverhalte nicht angemessen
entfalten könne. Auch sei es schade, dass man vermutlich in der letzten Reihe
den Text nicht entziffern könne. Unkontrolliert, aber unaufhörlich rast dabei
der Laserpointer über die Projektionsfläche. Die Zeit wird maßlos überzogen. Der
Vorsitzende ist verzweifelt. Erst als trotz eines Versuches kein weiteres Dia
mehr erscheint, wird der Vortrag beendet. Die Lichter gehen an. Die Zuhörer
erwachen. Es ist vorbei.
Schlechte Vorträge sind schlimm! Sie schaden der
Sache, die nicht vermittelt wird. Sie schaden dem Veranstalter, der einen
interessanten Kongress versprochen hat. Sie schaden dem Vortragenden, der sich
blamiert. Sie schaden den Zuhörern, die oft unter erheblichem zeitlichen und
finanziellen Aufwand am Kongress teilgenommen haben.
Voraussetzung für einen
guten Vortrag ist, dass man einen guten Vortrag halten will. Manche Redner
scheinen dies nicht zu tun. Ihr Ziel ist nicht, dass der Hörer Neues lernt,
sondern dass er angesichts der ausgebreiteten Wissensfülle in Ehrfurcht
erstarrt. Wer aber vor allem eigene Intellektualität vermitteln will, verfehlt
das Vortragsziel, missachtet das Publikum und sollte nicht reden. Es ist nicht
nur das klug und wissenschaftlich, was unverständlich bleibt.
Ein schlechter
Vortrag beginnt und verläuft außerhalb des Erfahrungs- und Kenntnisbereichs der
Zuhörer. Ein sehr schlechter Vortrag beginnt ebenfalls dort. Der Redner stellt
die Dinge dann nur noch komplizierter dar. Die Zuhörer werden verwirrt, ihr
Kenntnisstand nimmt ab.
Ein guter Vortrag hingegen beginnt im Erfahrungs- und
Kenntnisbereich seiner Zuhörer. Danach werden neue Gedanken in einer Weise
vorgestellt, der die Teilnehmer folgen können. Der Vortrag endet mit einem
erhöhten Wissensniveau der Zuhörer. Damit dies gelingt, müssen vor jedem Vortrag
die Adressaten genau analysiert und der Vortrag entsprechend gestaltet werden.
Dies ist der Grund, warum auch der erfahrene Redner, der bereits vielfach über
sein Thema sprach, jeden Vortrag erneut und gründlich vorbereiten
muss.
Obwohl Anfang und Schluss eines Vortrages nur jeweils etwa zehn Prozent
der Vortragszeit in Anspruch nehmen, kommt ihnen fast die gleiche Bedeutung zu
wie dem Hauptteil. Hier besteht die Chance, in sehr kurzer Zeit sehr viel zu
bewirken.
Die große Bedeutung des Anfangs ist eine psychologische
Grundgegebenheit. Es ist hilfreich und zeitökonomisch, rasch zu entscheiden, ob
man sich einer Person oder einer Sache weiter zuwendet oder nicht. Der Beginn
eines Vortrags weckt oder mindert das weitere Interesse, da sich jeder Redner zu
Beginn der vollen Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher sein kann. Erste
Voraussetzung des Gelingens eines Beginns ist, dass er stattfindet und nicht,
wie so oft, schlichtweg ausfällt: Der Redner steigt zum Pult, wendet sich vom
Publikum ab, lässt verdunkeln und beginnt, seine schlechten Dias zu zeigen.
Richtig und wichtig wäre folgendes:
- Vor Beginn des Sprechens geht es darum,
dem Publikum für einen Moment in die Augen zu blicken und Kontakt aufzunehmen.
Wer aufgeregt ist, braucht nicht den Ranghöchsten oder den Kongresspräsidenten
anzusehen, sondern lässt den Blick über das Auditorium schweifen.
- Nach
diesem "Augenblick" sollten einige Sätze frei gesprochen werden. In diesen
ersten Sätzen stellt der Redner das Thema und seine Bedeutung, aber auch sich
selbst vor. Die Zuhörer wollen nicht nur etwas über das Thema, sondern auch über
den Vortragenden lernen. Die Verdunkelung des Raumes beginnt frühestens nach den
einleitenden Sätzen. Mit den technischen Details (Mikrofon, Knopf zur
Diaprojektion, Laserpointer) muß sich der Redner vor Sitzungsbeginn vertraut
machen.
Dias sollen helfen nicht stören
Auch dem Schluss des Vortrags
kommt große Bedeutung zu. Hier sollten kurze zusammenfassende Gedanken und
Ausblicke formuliert werden, die dem Zuhörer im Gedächtnis bleiben. Es ist
vorteilhaft, auch den Schluss ohne Dia und bei voller Raumbeleuchtung zu
gestalten. Sprachlich geschieht die Beendigung der Projektion weniger günstig
durch die übliche schroffe Formel: "Das Dia kann weg!", sondern durch die
Aufforderung: "Bitte Licht!" Falls am Schluss ein Dia verwendet werden soll,
muss es äußerst gut und übersichtlich gestaltet sein, und der Redner muss
dezidiert darauf eingehen. Keinesfalls sollte beim Schlusswort ein nicht mehr
aktuelles Dia im Dunkeln stehen bleiben. Es lenkt die Zuhörer ab. Die Chance des
Schlusses wird vertan, wenn der Redner selbst erst durch den vergeblichen
Versuch weiterer Projektion bemerkt, dass er am Ende ist ("Das nächste Dia
bitte! Ach ja, es kommt keines mehr. Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!").
Dias - es gibt wohl kaum einen Bereich bei medizinischen
Vorträgen, in dem so viel Unfug getrieben wird. Dias sollen helfen, nicht
stören. Es ist absurd zu meinen, dass durch immer mehr, immer vollere und immer
buntere Dias immer mehr Dinge immer besser vermittelt werden. Die exzessive
visuelle Gestaltung der Medizin Vorträge ist eine Unsitte. In der Karikatur wird
der Medizinprofessor abgebildet, der auf dem Sterbebett ruft: "Letztes Dia,
bitte!"
Der gezielte und sparsame Einsatz von Dias kann dagegen sehr
hilfreich sein. Dabei ist zu beachten:
- Nicht der Vortrag kommentiert die
Dias, sondern die Dias kommentieren das Vorgetragene. Bei einem guten Vortrag
entwickelt der Redner einen Gedankengang zunächst ohne Dia. Die Hörer sind ganz
beim Wort. Im Verlauf gibt der Redner dann ein Dia hinzu, so dass der Gedanke
noch klarer wird. Völlig anders ist ein Vorgehen, bei dem der Redner das Dia
nicht vorbereitet, sondern es einfach projiziert, anschaut und kommentiert. Die
Aufmerksamkeit der Zuhörer liegt dann vor allem beim Dia. Ein Bild nimmt
zunächst immer mehr Aufmerksamkeit in Anspruch als ein Wort. Das gilt
insbesondere für ein textreiches und überladenes Dia. Wenn Diatext und Rede kaum
etwas miteinander zu tun haben, kann nichts anderes geschehen als die Verwirrung
der Zuhörer. Auch ist es ein Fehler zu meinen, mit Doppelprojektionen die
doppelte Menge an Informationen vermitteln zu können. Meist ist das Gegenteil
der Fall.
- Die Dias müssen übersichtlich und lesbar gestaltet sein. Ein
Vortragsdia sollte in wenigen Sekunden visuell erfasst und verstanden werden
können. Der Text ist auf wenige Worte zu beschränken. Als Richtlinie kann die 5
x 7-Regel gelten: Nur fünf Wörter im Titel, nicht mehr als sieben Zeilen,
weniger als sieben Wörter in der Zeile. Nominalsätze sind günstiger als
Verbalsätze (Statt "Bei der Durchführung der Therapie können ausgeprägte
Nebenwirkungen auftreten" "Nebenwirkungen möglich"). Das Abfotografieren von
Tabellen aus Büchern ist nahezu immer unsinnig. Wörter aus Großbuchstaben werden
langsamer gelesen als Wörter mit Kleinbuchstaben. Sie sollten daher auch im
Titel vermieden werden. Alle unnötigen Symbole und Zeichen sowie vielfältige
Farben sind zu vermeiden. Der Name des Redners, das Datum der Herstellung und
die Archivnummer gehören auf den Rahmen und nicht auf das Dia. Sie lenken ab,
interessieren nicht und zeigen die kleinliche Angst des Redners vor Raubkopien
seiner wertvollen Dias. Wer dennoch darauf besteht, sollte zumindest aktuelle
Daten anführen. Besonders peinlich sind uralte Dias, die auch noch als solche
bezeichnet sind ("Dr. Genial, April 1957, Dia Standardnummer 1957-13a").
-
Die Dias müssen in der Sprache des Vortrags verfasst sein. Bei einem deutschen
Vortrag sollten keine englischsprachigen Textdias verwendet werden. Dabei geht
es nicht um die Unterschätzung der Sprachkenntnisse des Publikums, sondern um
größtmögliche Kongruenz zwischen Rede- und Bildtext. Jede Inkongruenz
verschwendet Aufmerksamkeit. Fremdsprachige Dias sind darüber hinaus eine
Respektlosigkeit vor dem Publikum. Der gesprochene Kommentar lautet in der
Regel: "Ich komme gerade aus Amerika, und wegen meiner vielfältigen
Verpflichtungen konnte ich leider keine deutschen Dias mehr anfertigen." Gemeint
ist: "Ich habe es nicht für nötig gehalten, mich auf diesen unwichtigen Vortrag
gesondert vorzubereiten. Das tue ich nur für Vorträge in Amerika!"
- Nicht
die Dias sind der Adressat des Vortrages, sondern die Zuhörer. Somit sollte der
Vortragende nicht dem Publikum, sondern den Dias den Rücken zuwenden.
- Der
Zeiger oder Laserpointer hat die Funktion, gezielt Dinge im Dia anzuzeigen. Er
hat nicht die Funktion, durch ununterbrochenes Rasen über die Projektionsfläche
Kopfschmerz und Schwindel zu erzeugen.
- Die Dias müssen geputzt sein. Mit
Flecken oder Flusen auf Anzug oder Kleid würde man nicht auftreten. Flusen auf
dem Dia werden jedoch hundertfach vergrößert noch viel genauer
wahrgenommen.
- Alles, was im Dia gezeigt wird, muss im Vortrag angesprochen
werden, sonst bräuchte es nicht im Dia zu erscheinen. Andererseits braucht bei
weitem nicht alles, was gesagt wird, im Dia dargestellt zu werden.
Die
Aufmerksamkeit der Zuhörer während eines Vortrags nimmt unvermeidbar ab. Dieser
Aufmerksamkeitsverlust durch Ermüdung kann nicht grundsätzlich aufgehalten
werden. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer kann jedoch durch sogenannte
Aufmerksamkeits-Schritte für eine gewisse Zeit wieder erhöht werden. Wer ohne
Punkt und Komma wie ein Wasserfall redet, bei dem wird auch die Aufmerksamkeit
des Publikums steil wie ein Wasserfall abfallen. Wer aber kurze Unterbrechungen
einfügt, wird die Aufmerksamkeit zunächst zurückgewinnen. Dies kann
beispielsweise in der Mitte eines längeren Vortrags dadurch geschehen, dass man
die Diaprojektion für einen Moment unterbricht, das Licht anschalten lässt und
etwas Zusammenfassendes oder Überleitendes sagt. Rhetorische Fragen, die man
einige Sekunden unbeantwortet lässt, erhöhen ebenfalls die
Aufmerksamkeit.
Die Hände gehören nicht
in die Hosentasche . . .
Auch
das äußere Auftreten des Redners spielt eine Rolle. Die richtige Kleidung ist
jene, die nicht auffällt. Ausgefranste Jeans, aber auch extravagante
Designermodelle lenken vom Vortrag ab. Die Jacke sollte geschlossen sein. Der
Knopf sollte nicht erst, wie häufig, auf dem Weg zum Pult geschlossen werden.
Oft erwischt man auf der Treppe zum Pult das falsche Knopfloch, und die Jacke
sitzt während des gesamten Vortrags schief. Die Hände des Redners gehören
entweder auf das Pult oder verschränkt in Hüfthöhe vor den Körper zu
gelegentlichem Gebrauch bei kleinen Gesten. Hände auf dem Rücken wirken
distanziert, verschränkt auf der Brust wirken sie arrogant. Die Hände gehören
vor allem nicht in die Hosentasche. Diese Haltung missachtet das Publikum. Den
Dermatologen weist diese Unart ohnehin eher auf das Vorliegen einer unangenehmen
Form der Tinea inguinalis hin.
Die vorgegebene Zeitdauer eines Vortrags muss
unbedingt beachtet werden. Die genaue Einhaltung der Redezeit auf Kongressen ist
ein Ausdruck des Respekts vor den Zuhörern, die möglicherweise schon auf den
Nachredner warten, des Respekts vor dem Veranstalter oder Vorsitzenden, der den
Ablauf der Sitzung geplant hat, und des Respekts vor dem Nachredner, der bei
verspätetem Beginn in eine immer ungünstigere Situation kommt.
Was aber ist
zu tun, wenn ein komplexes Thema zu behandeln ist und die Zeit zur Entfaltung
nicht ausreicht? Zeitknappheit ist kein spezifisches Kongress- oder
Vortragsproblem, sondern ein Grundproblem des Menschen überhaupt. Die gesamte
Lebenszeit ist zu kurz. Die eigentliche Frage ist daher: Wie ist mit dieser
Tatsache umzugehen? Die Lösung ist sicher nicht die, erst einmal die meiste Zeit
mit Jammern zu verbringen ("Leider kann ich aufgrund der Kürze der Zeit die
ungeheuere Komplexität des Themas nicht angemessen entfalten"), ebenso wenig wie
trotzig und mit großer Brutalität die Redezeit maßlos zu überziehen. Ebenfalls
keine Lösung ist es, durch immer schnelleres Reden und immer vollere Dias
möglichst alles, was zum Thema bekannt ist, in die gegebene Zeit
hineinzupressen.
". . . machs Maul auf, hör bald auf!"
Vielmehr muss die
Frage beantwortet werden: Wie kann das Wesentliche so konzentriert dargestellt
werden, dass es verständlich und im vorgegebenen Zeitraum vermittelt wird? Ein
Mehr an Quantität ist nicht zwingend ein Gewinn. Vor allem mit Blick auf die
Kunst wird evident, wie absurd der Gedanke ist, dass durch bloße Vermehrung von
Quantität ein Kunstwerk gewinnt. Wäre ein Gemälde noch bedeutender, wenn es
doppelte Ausmaße hätte, eine Symphonie bewegender, wenn sie länger dauerte, ein
Gedicht tiefsinniger, wenn es mehr Strophen hätte?
All dies gilt auch für die
Vortragskunst. Martin Luther, Kenner und Virtuose der Sprache, hat zur Maxime
der Vortragstechnik gesagt: "Tritt frisch auf, machs Maul auf, hör bald auf!"
Die grobe Missachtung der Redezeit kann furchtbare Folgen haben. Im November
1841 wurde Henry Harrison zum amerikanischen Präsidenten gewählt und hielt, wie
auch heute noch üblich, am nächsten Tag bei eisiger Kälte vor dem Capitol eine
Rede. Statt der üblichen Minuten sprach er jedoch Stunden. Am nächsten Tag
erkrankte er an einer Pneumonie, an der er sogleich verstarb. Es gibt ihn, den
Suizid durch maßlose Redezeitüberschreitung.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-2081-2083
[Heft
36]
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers
Priv.-Doz. Dr. med.
Matthias
Volkenandt
Dermatologische Klinik
und Poliklinik
der
Ludwig-Maximilians-Universität
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München