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Entwarnung für die Zeitplomben

Amalgam-Beschwerden sind nicht medizinisch, sondern psychosomatisch begründet
 
 

Von Sandra Reuse

Gießen - Bedrohen Amalgam-Füllungen die Gesundheit? Der Streit darüber tobt seit Jahren. Eine Studie jagte die nächste, die entweder die Unbedenklichkeit der zu 50 Prozent aus dem hoch giftigen Quecksilber bestehenden Füllungen nachzuweisen suchte oder - im Gegenteil - der "Zeitplombe" alle erdenklichen Risiken zuschrieb: von Hirn-, Eiweiß- und Fettstoffwechselstörungen bis hin zu Erbschäden. Eine nachweisbare Folge der Amalgam-Diskussion war und ist auf jeden Fall die erhöhte Unsicherheit in der Bevölkerung. Immer mehr Menschen bitten daher ihren Zahnarzt, die Füllungen zu entfernen.

Jetzt behauptet eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universität Gießen, es gebe nur in den wenigsten Fällen einen Zusammenhang zwischen der Schadstoffbelastung im Mund und auftretenden Krankheitssymptomen. Ein Jahr lang beobachtete und befragte ein Team aus Dermatologen, Zahnmedizinern und Psychologen 80 Amalgam-Träger. Dabei wurden 40 Patienten, die über gesundheitliche Probleme in Zusammenhang mit Amalgam klagten, einer gleich großen Kontrollgruppe gegenübergestellt, die mit ihren Zahnfüllungen keine Probleme hatte. Tests zur Quecksilber-Höhe ergaben, dass die erste Gruppe weder im Vergleich zur Kontrollgruppe noch zur Durchschnittsbevölkerung stärker belastet war. Mit 11 von 40 Personen waren in der Patientengruppe jedoch deutlich mehr Allergiker als in der Kontrollgruppe (5 von 40).

Vor allem aber zeigten Befragungen zum persönlichen Befinden, dass sich Mitglieder der ersten Gruppe wesentlich stärker psychisch belastet fühlten. Sie neigten eher zu Depressivität oder erfüllten gar die Kriterien für eine Somatisierungsstörung - das heißt, sie litten unter vielfältigen körperlichen Symptomen, die durch eine physische Erkrankung< nicht direkt erklärt werden konnten. Meist hatten sie eine lange Odyssee durch verschiedene Facharztpraxen hinter sich, bei denen sie mit Klagen über Mattigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, Herzjagen oder Kopfschmerzen vorstellig wurden.

 


Channel: Wissenschaft
Ressort: Wissenschaft
Erscheinungsdatum: 05. 01. 2000

URL: http://www.welt.de/daten/2000/01/05/0105ws145588.htx

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